Die WM in Katar- zwischen Fußballjubel und Sklavenarbeit

Nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland hat nun, vier Jahre später, die WM in Katar begonnen. Allerdings nicht wie gewohnt im Sommer, sondern dieses Mal im Winter, was für uns eigentlich nur bedeutet: wichtige Spiele im Pullover auf der Couch statt draußen im T-Shirt schauen. Doch was bedeutet es für die etlichen Gastarbeiter:innen in Katar oder die FIFA1? Sollte man diese WM boykottieren oder alle eher unschönen Begleitumstände des Landes außer Acht lassen und weiterhin seine Lieblingsmannschaft anfeuern?  

Katar – das Land in der Wüste

Vorab sollten vielleicht erstmal ein paar Grundinformationen über das Land geklärt werden. Katar liegt in Vorder-Asien und zählt mit ca. 2,9 Millionen Einwohner:innen sowie einer Fläche von 11.610 km2 zu den kleinsten Ländern der Welt (Zum Vergleich: Deutschland hat etwa 83 Millionen Einwohner und ist 357.580 km2 groß). Seit dem Jahr 1971 ist Katar unabhängig vom Vereinigten Königreich und wird autoritär als absolute Monarchie2 regiert. Da dort ein subtropisches Klima herrscht, liegt die Tageshöchsttemperatur im Sommer bei etwa 50 °C und die Durchschnittswerte um die 40 °C. In den Wintermonaten ,,kühlen‘‘ sich die durchschnittlichen Höchsttemperaturen immerhin etwas ab und liegen ,,nur noch‘‘ bei ca. 21 bis 26 °C. Nun sollte also jedem klar sein, warum die WM nicht wie gewohnt im Sommer ausgetragen werden kann. Laut der IMF 3 wird Katar als Entwicklungsland 4 eingestuft, betrachtet man allerdings die Kaufkraftparität 5, so gehört Katar zu den zehn reichsten Ländern der Welt. Dabei stellt sich natürlich die Frage:

Warum ist Katar so reich?

Anfang der 1970er Jahre wurden im Persischen Golf Erdgasvorkommen entdeckt. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 6 ist damit von 2.700 auf über 100.000 US-Dollar im Jahr 2012 gestiegen. Wegen den fallenden Erdgaserlösen sinkt dieses allerdings wieder und lag 2016 bei 60.800 US-Dollar. Mit seinen Fonds kaufte Katar unter anderem das Nobelkaufhaus Harrods in London oder den Fußballclub Paris Saint-Germain. Viel Geld fließt auch in Prestigeprojekte – wie eben die Fußballweltmeisterschaft 2022. Denn eins steht fest: Auch Erdgas ist nicht in unbegrenzten Mengen vorhanden.

https://www.laenderdaten.info/Asien/Katar/index.php (Zugriff am 27.11.2022 um 20:15 Uhr)

https://www.wetterkontor.de/de/klima/klima-land.asp?land=QA (Zugriff am 27.11.2022 um 20:29 Uhr)

https://www.fluter.de/warum-wurden-diese-laender-so-schnell-reich (Zugriff am 27.11.2022 um 20:16 Uhr)

Rechte bzw. nicht vorhandene Rechte in Katar

Katar ist also ziemlich reich, menschenrechtlich gesehen allerdings auch ziemlich problematisch. Beispielsweise ist die Todesstrafe immer noch verfassungsrechtlich erlaubt. Beim jährlichen Bericht von ,,Reporter ohne Grenzen‘‘ 7 landet Katar 2022 bezogen auf die Pressefreiheit auf dem Rang 119 von 180 und wird als ,,schwierig‘‘ eingestuft. Homosexuelle Handlungen und nichtehelicher Geschlechtsverkehr sind verboten und auch nichteheliche Schwangerschaften können strafrechtlich verfolgt werden. Es gibt ein Verbot von Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, kein Streikrecht und weder eine Meinungs- noch Versammlungsfreiheit.

https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2022 (Zugriff am 27.11.2022 um 20:17 Uhr)

Die Vergabe der WM

Es ist der 2. Dezember 2010, als nicht nur die Wahlen für den Austragungsort der WM 2018, sondern auch der für die WM 2022 stattfinden. In der 4. Wahlrunde erhält Katar 14 von 24 Stimmen vom FIFA-Entscheidungskomitee. Das Land ist somit das erste arabische, dem eine Fußballweltmeisterschaft zugesprochen wird. Schon wenige Tage nach der Vergabe tauchen Korruptionsvorwürfe auf und zwei Exekutivmitglieder stehen unter Verdacht, Geld bekommen zu haben, damit sie für Katar stimmen. FIFA-Vize Julio Grondona soll beispielsweise 59 Millionen Euro aus Katar erhalten haben. Im Mai 2015 werden sogar etliche FIFA- Mitglieder festgenommen und Untersuchungen der USA zeigen eindeutig, dass die WM gekauft ist. Die FIFA bestreitet die Anschuldigungen bis heute und handfeste Beweise für die Korruption hat es nie gegeben.

Seit der Vergabe haben auch die Bauarbeiten für die 150 Milliarden Euro teure und damit teuerste WM bisher begonnen. Das Geld fließt in Hotels, Straßen und insgesamt sieben neue Stadien, für dessen Bau selbstverständlich Arbeitskräfte benötigt werden.

https://www.br.de/themen/sport/inhalt/fussball/international/winter-wm-2022-katar100.html (Zugriff am 27.11.2022 um 20:19 Uhr)

Warum die WM außerdem noch problematisch ist

Wem die Missachtung von Menschenrechten noch nicht als Argument ausreicht, die WM zu boykottieren, dem kann ich nur ans Herz legen, einen genaueren Blick auf die Arbeitsbedingungen von Gastarbeiter:innen beim Bau von beispielsweise Stadien für die WM zu werfen.

,,Ich kann Ihnen sagen, wie es sich anfühlt, wenn ein Gastarbeiter aus Katar nicht mehr lebend nachhause kommt‘‘, meint die Ehefrau von Tej Tharu, einem Gastarbeiter aus Nepal, der die Bauarbeiten in Katar nicht überlebt hat. Wie auch andere Arbeiter ging er nach Katar, um Geld für seine Familie zu verdienen, da es in Nepal den Einwohner:innen zu Folge kaum Arbeit gebe. Laut seiner Ehefrau habe sie niemand über den Tod ihres Mannes informiert, auch wenn das katarische WM-Organisationskomitee das Gegenteil behauptet. Sie bekam zwar eine Entschädigungszahlung, was ihren Mann und den Vater ihrer Tochter aber natürlich nicht wieder lebendig macht.

Berichte zeigen außerdem die Beschlagnahme von Reisepässen der Gastarbeiter:innen, die Verweigerung der Ausreise und das Verbot, den Arbeitsplatz zu wechseln. Die Arbeiter:innen müssten häufig unter mangelnden Sicherheitsbedingungen arbeiten, hätten keine freien Tage und würden ihr Gehalt nicht rechtzeitig bekommen, von dem sie allerdings oft ihre Familien ernähren müssen. Ein Gastarbeiter behauptet, dass er seit einem Jahr auf vier Monate Gehalt von Katar warte, welches er, trotz Anstrengungen vor dem Arbeitsgericht, noch nicht bekommen habe. Dabei liegt der Mindestlohn sowieso gerade einmal bei ungefähr 2,55 € pro Stunde – und das ein einem der reichsten Länder der Welt. Da es auch kein Streikrecht gibt, droht Katar bei Streiks die Löhne nicht auszuzahlen.

Besonders die Corona Pandemie stellte ein drastisches Problem für die Arbeiter:innen dar. In den engen Unterkünften hat sich das Virus logischerweise sehr schnell verbreitet, weshalb teilweise ganze Gebiete abgeriegelt werden mussten. Dies hatte allerdings eine sehr schlechte und unorganisierte Essensversorgung zur Folge, wobei einige Arbeiter:innen nicht einmal etwas zu Essen bekommen haben sollen.

Seit der Bau für die WM in Katar begonnen hat, gibt es tausende ungeklärte Todesfälle. Laut den Statistiken von Regierungsstellen in Katar sind im Zeitraum von 2010 bis 2019 ungefähr 15 000 Arbeiter:innen gestorben, davon rund 9000 aus Südasien und 78% Männer. Was allerdings nicht veröffentlicht wird, sind die Berufe, bei denen die Arbeiter:innen sterben. Nur drei Arbeiter sollen laut FIFA durch Arbeitsunfälle beim Bau der Stadien gestorben sein. Dabei ist allerdings nicht klar, wie viele Menschen im Zusammenhang mit dem Bau der WM – Projekte gestorben sind. Häufig werden Todesursachen wie ,,Herzstillstand‘‘, ,,Atemversagen‘‘ oder ,,natürliche Ursache‘‘ auf dem Totenschein angegeben.

Die ,,Reformen‘‘

Die FIFA behauptet, Katar habe alles Notwendige getan, um mehr Menschenrechte in diesem Land umzusetzen. Dabei lohnt es sich durchaus einen genaueren Blick auf die angeblichen ,,Reformen‘‘ Katars zu werfen. Zunächst einmal sollte bereits 2014 das sogenannte Kafala- System 8 abgeschafft werden. 2015 wurde ein elektronisches Bezahlungssystem eingeführt, damit alle Arbeiter:innen ihre Löhne pünktlich erhalten. 2018 wurde ein Beschwerde Komitee eingerichtet, dass innerhalb von drei Wochen Beschwerden von Gastarbeiter:innen bearbeiten soll und im Jahr 2020 wurde angekündigt, den Mindestlohn auf ca. 270 € pro Monat anzuheben. Klingt also prinzipiell erstmal nach einem Fortschritt, doch die Realität sieht leider häufig anders aus. Reformen existieren zwar auf dem Papier, werden aber oft nicht umgesetzt und die oben bereits genannten Nachteile für Arbeiter:innen, wie beispielsweise die Beschlagnahme von Reisepässen oder die Verweigerung der Ausreise, bleiben. Minky Worden von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch meint dazu: ,,Wir verlassen uns nicht auf Versprechungen der Regierung, wir verlassen uns auf Gespräche mit Arbeitern vor Ort, um dann an Lösungen zu arbeiten‘‘. Sie behauptet außerdem, dass Katar jedes Jahr verspreche, das Kafala – System endlich abzuschaffen und die Menschenrechtsorganisation sie immer wieder daran erinnern müsse, dass es noch existiert. Ob also wirklich alle versprochenen Reformen so konsequent von der Regierung umgesetzt werden, ist durchaus zu bezweifeln.

https://www.ardmediathek.de/video/katar-wm-der-schande/episode-2-die-toten-s01-e02/wdr/Y3JpZDovL3Nwb3J0c2NoYXUuZGUvc3BvcnRzY2hhdS1mZm1wZWctdmlkZW8tOTYzMzkyNg (Zugriff am 27.11.2022 um 20:20 Uhr)

https://www.sportschau.de/fussball/fifa-wm-2022/katar-wm-der-schande-die-toten-100.html (Zugriff am 27.11.2022 um 20:30 Uhr)

Was bringt schon ein Boykott?

Viele sind der Ansicht, ein Boykott sei sinnlos und könne sowieso nichts ändern. Allerdings hat uns bereits die Vergangenheit das Gegenteil bewiesen. Beispielsweise bei der WM 1966 in England boykottierten alle 15 afrikanischen, zur WM-Qualifikation angemeldeten Fußballverbände die WM. Der Grund dafür war, dass der Kontinent keinen eigenen WM-Startplatz erhalten hat und mit Asien und Ozeanien um einen Platz kämpfen sollte, obwohl sogar mehr Fußballvereine als in Europa existierten. Dies akzeptierten die afrikanischen Verbände nicht und ihr Boykott zeigte durchaus Erfolg. Bei den nächsten Weltmeisterschaften erhielten Afrika, Asien und Ozeanien jeweils einen eigenen Startplatz. Demnach zählt das angebliche Argument, dass ein Boykott nichts bringe, für mich ganz klar nicht.

https://www.instagram.com/p/ClLVXviM83-/ (Zugriff am 27.11.2022 um 20:26 Uhr)

Fazit

Man könnte jetzt sicher noch tausend weitere Argumente aufzählen, warum diese WM problematisch ist, doch ich denke, die Botschaft dahinter ist ziemlich deutlich geworden. Wer also Lust hat, dieses Jahr dabei zuzusehen, wie verschwitzte Spieler bei Höchsttemperaturen in von Gastarbeiter:innen errichteten Stadien um den Titel kämpfen, der soll tun, was er nicht lassen kann. Für mich steht definitiv fest: Diese WM sollte definitiv boykottiert werden, damit die geringe Chance besteht, dass die nächste WM in einem Land ausgetragen wird, in dem Menschenrechte nicht völlig unwichtig sind. Denn solange die Aufmerksamkeit durch die WM nur Reformen auf dem Papier zur Folge hat, wird sich in Katar weder für die Menschen, noch die unzähligen Gastarbeiter:innen ganz sicher nichts ändern.

Dieser Artikel ist von Luzie

Fachbegriffsliste zum Verständnis

BegriffErklärung
1) FIFA,,FIFA‘‘ ist die Abkürzung für ,,Fédération Internationale de Football Association‘‘ und der Weltfußballverband, der „die Kontrolle des Association Football in all seinen Formen“ zum Zweck hat. https://de.wikipedia.org/wiki/FIFA (Zugriff am 27.11.2022 um 20:37 Uhr)  
2) Absolute MonarchieIn einer absoluten Monarchie liegt sämtliche Macht im Staat beim Monarchen. Er bestimmt über die Gesetze, vergibt wichtige Ämter und bestimmt über alles, was im Staat passiert. https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=beilage_190_monarchie_27122021-data.pdf (Zugriff am 28.11.2022 um 10:55 Uhr)
3) IMFDer ,,IMF‘‘ (=International Monetary Fund) oder auf Deutsch ,,Internationaler Währungsfonds‘‘ ist eine rechtlich, organisatorisch und finanziell selbstständige Organisation der Vereinigten Staaten. https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_W%C3%A4hrungsfonds (Zugriff am 27.11.2022 um 20:37 Uhr)
4) EntwicklungslandEin Entwicklungsland ist ein Land mit einem deutlich niedrigeren Entwicklungsstand im Vergleich zu den Industrieländern. https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/politikwirtschaft/artikel/entwicklungslaender-begriffe-und-differenzierungen (Zugriff am 27.11.2022 um 20:37 Uhr)
5) KaufkraftparitätDie Kaufkraftparität wird verwendet, um die Lebenshaltungskosten zwischen zwei Ländern zu vergleichen beschreibt die Situation in der zwei Währungen die gleiche Kaufkraft besitzen, man also den gleichen Warenkorb erwerben kann. https://studyflix.de/wirtschaft/kaufkraftparitat-1496 (Zugriff am 27.11.2022 um 20:37 Uhr)
6) Bruttoinlandsprodukt pro KopfDas Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Es misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung). https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Methoden/bip.html (Zugriff am 27.11.2022 um 20:37 Uhr)
7) Reporter ohne GrenzenReporter ohne Grenzen ist eine international tätige Nichtregierungsorganisation und setzt sich weltweit für Pressefreiheit und gegen Zensur ein. https://de.wikipedia.org/wiki/Reporter_ohne_Grenzen (Zugriff am 27.11.2022 um 20:37 Uhr)
8) Kafala – SystemDas Kafala – System ist ein System, das in allen Staaten am Persischen Golf eingesetzt wird und dient der Kontrolle großer Migrantengruppen, die die nationale Infrastruktur aufbauen. Migranten arbeiten für niedrige Löhne, bei hoher Hitze und leben oft in weitläufigen Arbeitslagern. Es ermöglicht einer Minderheit der Bevölkerung, eine große Zahl von Arbeitsmigranten unter Kontrolle zu halten. Wer sich noch weiter darüber informieren möchte, kann dies gerne über folgende Quellen tun: https://www.kleinezeitung.at/sport/fussball/wm/6214887/Arbeit-in-Katar_Was-ist-das-KafalaSystem-in-Katar (Zugriff am 28.11.2022 um 15:07 Uhr) https://www.youtube.com/watch?v=2koW6iiiNxc&t=70s (Zugriff am 28.11.2022 um 15:08 Uhr)